Der König und die 18 Prinzen

Der König und die 18 Prinzen

Ein politisches Märchen aus dem Schwarzwaldreich – samt der Wahrheit, die keiner hören will

Es war einmal ein Königreich, das sich nach Modernität sehnte, aber jeden Fortschritt misstrauisch beäugte, als hätte er im Wald auf etwas Verbotenes getreten.

Dort regierte Friedrich der Entschlossene, ein König, der glaubte, das Reich erneuern zu können, ohne dass jemand dabei Schmerzen verspürte.

Eines Tages reiste er in das ferne Schwarzwaldreich, um seine jungen Prinzen zu besuchen – die 18 Abgeordneten der Jungen Tafelrunde.

Es sollte ein Tag der Harmonie werden.
Das war der erste Irrtum.

Die Rebellion der Privilegierten
Denn die Prinzen hatten beschlossen, dem König zu zeigen, dass Macht nicht von oben kommt, sondern von denen, die laut genug „Nein!“ rufen.

Sie hatten ihre Rollen geprobt, ihre Parolen poliert und ihre Stirn in entschlossene Falten gelegt.

Der König trat vor sie und sprach vom Rentenpaket, von Verantwortung, von Verträgen, die man gemeinsam unterschrieben hatte.

Die Prinzen aber sprachen von 120 Milliarden Goldstücken, die man nicht vereinbart habe.

Sie sprachen von Generationengerechtigkeit – und verschwiegen, dass sie selbst nach wenigen Jahren im Bundestag Pensionsansprüche erwerben, von denen eine Altenpflegerin nur träumen kann.

Sie verteidigten die Zukunft der Jungen – aber nicht ihre eigene Zukunft.
Die war längst abgesichert.
In einem anderen System.
Mit anderen Regeln.

Der König zitierte das Zauberbuch der Koalition, den Vertrag, den beide Parteien unterschrieben hatten. Dort stand es schwarz auf weiß:
Das Rentenniveau soll bis 2031 bei 48 Prozent stabilisiert werden.

Die Prinzen taten so, als hätten sie das Buch nie gelesen.
Oder als gelte es nur für andere.

Der König warb um Vernunft.
Die Prinzen um Aufmerksamkeit.
Der König suchte Einigkeit.
Die Prinzen suchten Bühne.

Der Oberprinz und die Erpressung
Dann trat Oberprinz Winkel hervor und sprach mit bebender Brust:
„Ohne uns wärst du nie König geworden.“
Es klang nicht wie ein Lob.
Es klang wie eine Erpressung.

Der Saal wurde still wie ein verzauberter Wald, in dem jeder ahnt: Gleich passiert etwas, das niemand mehr kontrollieren kann.

Die Prinzen rebellierten gegen ein Paket, das sie selbst mitgetragen hatten.
Sie griffen den König an, den sie selbst gekrönt hatten.
Sie kämpften für die Zukunft der Jungen – und vergaßen, dass die Gegenwart der Alten längst bröckelte wie eine alte Schlossmauer.

So wurde der Tag zu einer Parodie eines Märchens:
Heldentum, das keins war.
Mut, der keiner war.
Gerechtigkeit, die nur als Kostüm diente.

Der doppelte Irrtum – der der Jugend und der des Alters
Denn die Prinzen irrten ebenso wie der König.
Die Prinzen glaubten, sie verteidigten die Zukunft.

Doch wer nur die Zukunft verteidigt, übersieht die Gegenwart:
die gebeugten Alten, die nachts Flaschen aus Mülltonnen ziehen, weil die 48 Prozent Rente für viele ohnehin kaum reichen.

Der König wiederum glaubte, Solidarität bedeute, die Alten zu schützen – koste es beinahe, was es wolle, zu teuer durfte es dann auch nicht sein.

Hundert Prozent hatten die Alten ihr Leben lang verdient und eingezahlt.
Und in ihren vermeintlich goldenen Tagen bekamen sie 48 Prozent wieder heraus.
Und auch das war vielen zu viel.

Doch wer wie die Könige des Reiches seit Jahrzehnten nur schiebt, was eigentlich reformiert werden müsste, schützt nicht – er verschiebt.

Im Reich lebte nämlich der Drache der Demografie, und der lauerte schon hungrig.

So hatten beide Seiten irgendwie recht.
Und beide unrecht.

Denn ein Reich kann nicht überleben, wenn die Jungen Verantwortung scheuen –
aber auch nicht, wenn die Alten Reformen verweigern.

Doch all das war nicht der wahre Kern des Problems
Denn im Märchen gab es nicht nur Könige und Prinzen, nicht nur Beamte, Alte mit angenehmem Leben und die Flaschensammler.
Es gab auch jene, deren Namen niemand laut aussprach:

Die Lords der goldenen Türme.
Sie lebten hoch über allem, wo der Wind anders wehte und das Licht anders funkelte.
Dort, wo Vermögen sich vervielfacht, während Arbeit besteuert wird.
Dort, wo man über Rentenbeiträge nicht diskutiert – man lacht darüber.
Die Lords zahlten keine Rentenbeiträge auf Kapitalerträge.
Keine Beiträge auf Mieteinnahmen.
Keine Beiträge auf Dividenden.
Sie lebten von Geld, das Geld machte – und das System fragte sie nicht, ob sie etwas beisteuern wollten.
Es fragte nur jene, die arbeiteten.
Immer wieder.
Immer mehr.
Die Lords zahlten kaum ein.
Sie bekamen kaum etwas heraus.
Und genau das war ihr Zauber:
Sie spielten in einem anderen System.
In einem Märchen, in dem Reichtum sich selbst schützt
und das Volk nur Kulisse ist.

Der Chor der Reflexe
Und natürlich gab es im Königreich auch den Chor der Reflexe – jene Stimmen, die jedes Mal dasselbe Lied anstimmten, sobald jemand Ungleichheit erwähnte.
Sie nannten es dann „Neid“.
Oder „Klassenkampf“.
Oder „linke Parolen“.
Ein zuverlässiges Mantra, das überall passte und nichts erklären musste.
Doch in Wahrheit ging es nicht darum, den Lords der Türme etwas wegzunehmen.
Es ging um etwas viel Einfacheres:
um Regeln, die für alle gelten.
Nicht streng für die, die arbeiten –
und gar nicht für diejenigen, deren Geld von selbst wächst.

Die alten Frauen, die Flaschen sammeln müssen, sind nicht arm, weil die Reichen reich sind.
Sie sind arm, weil das System so gebaut wurde,
dass die einen einzahlen müssen
und die anderen nicht.

Es ging nicht um Umverteilung,
sondern um Gleichbehandlung.
Nicht darum, Reichtum zu bestrafen,
sondern darum, dass jeder, der im Reich lebt,
denselben Beitrag leistet.

Das ist nicht links.
Das ist nicht rechts.
Das ist schlicht fair.

Und im Übrigen:
Es wäre die einzige wirklich konservative Reform –
ein System, das stabil bleibt,
weil alle Schultern tragen
und nicht nur die, die ohnehin schon gebeugt sind.

Doch genau dort sang der Chor am lautesten.
Denn wer „Linke Parolen!“ ruft,
meint selten die Parolen.
Er meint die Angst,
dass jemand die Regeln endlich für alle gleich machen könnte.

Die Putzfrau und der Beamte
Die Putzfrau jedoch – die ihr ganzes Leben schuftete, Stunde um Stunde, Tag für Tag – stand vor demselben System wie der Ingenieur, aber mit einem Bruchteil des Lohns und ohne jedes Polster.

Sie arbeitete ihr Leben lang.
Sie lebte knapp.
Und in der Rente lebte sie noch viel knapper.

Der Ingenieur hatte sein Haus.
Der Manager seinen Bonus.
Der Lord steuerfreie Dividenden und eine Yacht im Hafen.
Die Putzfrau hatte ein zerschundenes Kreuz.
Und die Sorge, ob der Monat reicht.

Doch im Reich hieß es dann:
„Alle sollen gleich behandelt werden.“
Es war ein schöner Satz.
Nur nie ein wahrer.

Und dann war da noch der Beamte – der sein Leben lang keinen Cent eingezahlt hat, aber im Alter 72 Prozent seines letzten Gehalts erhält.
Während die Krankenschwester, die 45 Jahre geschuftet und eingezahlt hat, sich mit 48 Prozent zufriedengeben muss.

Beide haben dem Staat gedient.
Nur der eine wird belohnt wie ein Lord.
Die andere wie eine Bittstellerin.

Die Lösung – die alle kennen und niemand will
Im Märchen gibt es oft ein Zauberwort, das alles retten könnte.
Im Reich der Rente wäre es dieses:

Ein System für alle.
Egal ob
– Putzfrau
– Prinz
– König
– Lord
– Ingenieur
– Beamter
Alle zahlen in dasselbe Fass ein.
Und alle schöpfen denselben Krug.

Keine Sonderkassen.
Keine Sonderpensionen.
Keine goldenen Ausnahmen.
Keine vermögensverwöhnten Fluchtwege.

Ein gemeinsames System für ein gemeinsames Land.
Die faire Lösung wäre einfach.
Und deshalb wird sie nie kommen.
Denn sie hätte einen unerträglichen Nebeneffekt:
Die Mächtigen müssten zum ersten Mal die gleichen Regeln befolgen wie diejenigen, die ihnen zuarbeiten.
Der König würde seine 70 Prozent verlieren.
Der Beamte sein Sonderkissen.
Die Lords müssten zahlen wie das Volk.
Und die Prinzen bekämen keine Pensionsansprüche mehr nach ein paar Jahren höfischer Politik.

Darum ist das Zauberwort verflucht.
Nicht, weil es falsch wäre.
Sondern, weil es gerecht wäre.

Und Gerechtigkeit ist in vielen Reichen das gefährlichste aller Worte.

Moral des Märchens
Ein Reich, in dem die Reichen unberührt bleiben, die Prinzen rebellieren, die Alten verarmen und der König verwaltet, aber nicht reformiert – ist kein Märchen.
Es ist die Realität.

Die Prinzen behaupten, die Zukunft zu schützen.
Der König behauptet, die Alten zu schützen.
Die Lords schützen nur sich selbst.

Und so bleibt das Reich in seiner größten Krankheit gefangen:
der Weigerung, alle gleich zu behandeln.

Kein Drache, kein Zauber, kein Fluch verhindert die Lösung.
Nur der fehlende Wille derer, die sie beschließen müssten.

Und so endet dieses Märchen nicht mit einer Hochzeit.
Sondern mit einem Bild:

Eine alte Frau, die früher Böden wischte, weil sie musste.
Die jetzt Flaschen sammelt, weil sie muss.
Während in den goldenen Türmen das Licht brennt.
Und in den Hallen der Macht die Prinzen applaudieren.
Für sich selbst.
Ende

Wer Gerechtigkeit fordert, meint meist die Gerechtigkeit der anderen.
Und deshalb bleibt alles, wie es ist.

Bis der nächste Prinz rebelliert.
Und der nächste König beschwichtigt.
Und die nächste Putzfrau sich bückt, um Flaschen aus einer Mülltonne zu ziehen.

Read more