Showdown in Berlin. Die Colts sind geladen.

Showdown in Berlin. Die Colts sind geladen.

Vor wenigen Tagen sah die Welt noch düster aus.

Erst der 28-Punkte-Plan, in dem Trump und Putin die Ukraine wie eine Konkursmasse unter sich aufteilen wollten. Dann die Nationale Sicherheitsstrategie der USA – von Josep Borrell, dem ehemaligen Außenbeauftragten der EU, als „Kriegserklärung“ bezeichnet. Demokratiedefizite, Meinungsfreiheit in Gefahr, Unterstützung für „patriotische Parteien“. Gemeint war: Ihr seid schwach. Wir machen das jetzt ohne euch.

Die Stimmung war am Boden. In den Kommentarspalten herrschte Panik. Europa am Ende. Die Ukraine verloren. Putin hat gewonnen.

Heute, am dritten Advent, leuchten die kleinen Lichtlein doch ein winziges Bisschen heller.

Nicht weil sich die Lage entspannt hätte. Sondern weil Europa beginnt, seine Stärke zu begreifen.

Die These ist einfach: Europa ist stärker, als es glaubt. Russland ist schwächer, als es tut. Wer jetzt die Nerven behält und zusammenhält, gewinnt.

Und morgen wird sich zeigen, ob Europa das verstanden hat.


High Noon in Berlin

Morgen wird es spannend. Popcorn-Zeit.

Vielleicht nicht ganz so spannend wie die legendäre Szene aus „High Noon“, dem Klassiker des alten Hollywoods, in dem um 12 Uhr mittags Marshal Will Kane gegen den rachsüchtigen Banditen Frank Miller antritt – verlassen von seinen feigen Mitbürgern und seiner pazifistischen Frau Amy.

Nein, Berlin wird nicht menschenleer sein, das ist es nie. Aber das Treffen, das morgen stattfindet, hat nicht weniger Sprengkraft.

Steve Witkoff, Trumps Sondergesandter, kommt nach Berlin. Mit dabei: Jared Kushner, Trumps Schwiegersohn. Die Familie mischt persönlich mit.

Auch Selenskyj wird da sein und alle Europäer, die den Schuss gehört haben. Macron. Starmer. Meloni. Tusk. Der norwegische Ministerpräsident Støre. Dazu von der Leyen, EU-Ratspräsident Costa und NATO-Generalsekretär Rutte. Der finnische Präsident Stubb hat dafür sogar seine Reise in die USA abgesagt – Berlin is tomorrow the place to be.

Das ist kein Blabla. Das ist die geballte westliche Führung an einem Tisch.

Trump hatte es extra verlauten lassen. Er schicke niemanden für Blabla. Wenn Witkoff und Kushner kommen, liegt etwas auf dem Tisch.

Was auf dem Tisch liegt, hat sich verändert. Von den ursprünglich 28 Punkten sind nur noch 20 übrig – plus vier separate Dokumente zu Sicherheitsgarantien, NATO-Mitgliedschaft und dem Verhältnis USA-Russland. Die Amnestie für Kriegsverbrecher wurde gestrichen. Ein Fortschritt.

Aber der Kern bleibt bitter: Die Ukraine soll den Donbass räumen. Kampflos. Das, wofür sie seit Jahren blutet. Im Gegenzug wäre Russland „allenfalls bereit“, Teile anderer Regionen abzugeben. Ein Diktatfrieden, der sich als Kompromiss tarnt.

Der Streit um zwei Punkte blockiert alles: das Gebiet der Region Donezk und das AKW Saporischschja. Über beides wird noch verhandelt.

Selenskyjs Antwort auf all die tollen Vorschläge aus dem Washington-Kreml-Lager ist glasklar:

„Yes, but.“

Ja zu Verhandlungen.
Ja zu Wahlen – aber nur bei Waffenstillstand, den die Amerikaner absichern.
Ja zur Armee-Obergrenze – aber auf aktuellem Niveau, nicht auf die 800.000, die der Plan vorsieht.

Selenskyj verhandelt. Er gibt nicht auf. Und er weiß: 71 Prozent der Ukrainer lehnen eine Gebietsabtretung ab. Am Ende, so seine Forderung, muss das Volk per Referendum entscheiden, auch wenn Moskau bereits medienwirksam und siegessicher abgewunken hat.

Die SZ schreibt, es sei schlecht, mit Witkoff verhandeln zu müssen.
Noch schlechter wäre nur, es nicht zu tun.

Aber anders als Gary Cooper in „High Noon“ ist Selenskyj diesmal nicht allein.

Europa sitzt mit am Tisch. Mit 210 Milliarden Euro in der Hinterhand – die sich Trump und Putin im ursprünglichen Plan schon aufgeteilt hatten.


Rauchende Colts

Am 11. Dezember hat die EU etwas getan, das ihr niemand mehr zugetraut hätte.

Nach jahrelangem Gelaber über die „frozen Assets“ hat sie sich in Marshal Dillon aus „Rauchende Colts“ verwandelt – den unerschrockenen Sheriff, der in der gesetzlosen Stadt Dodge City für Recht und Ordnung sorgt. Die Pistole ist aus dem Halfter und einmal lässig um den Finger gezwirbelt.

Die EU hat die eingefrorenen russischen Vermögenswerte unbefristet immobilisiert.
210 Milliarden Euro. Per Artikel 122, mit qualifizierter Mehrheit.
Ungarn und die Slowakei konnten es nicht blockieren.

Das Geld ist damit erst einmal gesichert – raus aus den Krallen von Trump und Putin.

Im 28-Punkte-Plan stand noch, ein 200-Milliarden-Fonds solle aus den eingefrorenen Vermögen entstehen – verwaltet von den USA.
Europa hat das kassiert.
Das Geld liegt in Brüssel.
Es bleibt in Brüssel.

Aber das ist nur der erste Schuss.

Am 18. und 19. Dezember, beim EU-Gipfel, entscheidet sich, ob Europa das Geld als Hebel nutzt und die Kritiker dieser Strategie – allen voran Belgien, Ungarn, die Slowakei und ab Montag mit dem neuen tschechischen Ministerpräsidenten Babiš – überzeugen kann. Und das wird nicht leicht.

Der Plan sieht ein Reparationsdarlehen vor: ein zinsloses Darlehen an die Ukraine, besichert durch die eingefrorenen Assets. Die Ukraine muss es nur zurückzahlen, wenn Russland Reparationen zahlt.

Und nein, das ist kein Diebstahl. Das Geld müsste Russland so oder so bezahlen – ginge es nach dem Völkerrecht. De facto ist das ein Vorschuss auf das, was der Aggressor ohnehin schuldet.

Das ist juristisch sauber. Die internationale Großkanzlei Covington & Burling hat es geprüft: Das Klagerisiko ist „minimal“. Es sei „praktisch unmöglich“ für Russland, ein internationales Gericht zur Annahme einer Klage zu bewegen.

Ursula von der Leyen sagte diese Woche zu den Verhandlungen mit Belgien: „Day and night. Absolutely innovative. It's never happened before.“ Die EU arbeitet. Sie zaudert nicht mehr.

Und von der Leyen weiß, worum es geht: Der Frieden darf nicht „die Saat für den nächsten Konflikt“ legen. 2014 haben die Sicherheitsgarantien nicht gehalten. Russland hat sich reorganisiert. 2022 kam die nächste Invasion. Das darf nicht wieder passieren.

Der entscheidende Punkt: Die eingefrorenen Vermögen liegen in Europa. Nicht in Washington. Nicht in Moskau. Wer über dieses Geld verhandeln will, muss mit Brüssel reden.

Das ist kein Zufall. Das ist die Smoking Gun.

Der US-Politologe Edward Fishman nennt diese Logik „Choke Points“ – Schwachstellen, an denen man den Gegner packen kann. Wer verwundbare Stellen kontrolliert, kann Rivalen zum Einlenken zwingen, ohne dass ein Schuss fällt. Die USA haben das seit den Neunzigern perfektioniert. Jetzt wendet Europa es an.

Brasilien hat gerade gezeigt, wie das geht. Lula hat Trumps 50-Prozent-Strafzölle ausgehalten, standhaft geblieben – und am Ende hat Trump die Zölle zurückgenommen und lobt jetzt die „Chemie“ mit dem linken Präsidenten.

Europa hat mehr in der Hand als Kaffee und Rindfleisch. Europa hat 210 Milliarden Euro. Und einen noch größeren Hebel, wenn es den EU-Markt vor den Tech-Bros aus Trumps Entourage verteidigt. Die Klage gegen Musk war nur der erste Warnschuss. Schießübungen auf leere Flaschen.


Der Trump-Kanal

In jedem Western gibt es den einen Reiter, der zwischen den Fronten vermitteln kann. Der in beide Saloons darf, ohne erschossen zu werden.

Friedrich Merz macht gerade etwas, das viele Deutsche nicht verstehen.

Letzte Woche sagte er sinngemäß: Wenn Trump Europa nicht will, soll er wenigstens Deutschland nehmen. Aufschrei. Spalter. Fettnäpfchen.

Gestern, beim CSU-Parteitag dann: „Die Pax Americana ist vorbei. Europa muss zusammenhalten.“ Er verglich Merkels Russland-Politik mit Chamberlain 1938. „Wenn die Ukraine fällt, hört Putin nicht auf. Genau so wenig, wie das Sudetenland gereicht hat.“

Widerspruch? Nein. Rollenverteilung.

Warum Merz? Trump denkt in Deals, nicht in Werten. Merz ist Wirtschaftsmann, hat einen BlackRock-Hintergrund, spricht die Sprache des Geldes. Keine Vorgeschichte, keine alten Rechnungen – Macron hat Trump belehrt, Scholz hat gezaudert, Merz ist ein unbeschriebenes Blatt.

Und vor allem: kein Grüner, kein Sozialist, keine Belehrungen über Klimaschutz oder Menschenrechte. Als JD Vance bei der Münchner Sicherheitskonferenz MAGA-Illiberalismus predigte und warnte, wer das nicht annehme, sei „unwürdig für Verteidigungsgarantien“, ging ein hörbares Keuchen durch den Saal. Merz? Schnaubt, rümpft die Nase, macht weiter. Er hat dieses gewisse Selbstbewusstsein, bei dem sich reflektierte Menschen häufig fragen, woher das eigentlich kommt. Aber gerade ist es mehr als nützlich. Er ist eben einer dieser Männer, an denen solche Sätze abprallen – man weiß nie, ob das Stärke ist oder einfach eine sehr dicke Haut.

Für Trump ist Merz unterm Strich „einer von uns“ – auch wenn er es nicht ist.

Das macht ihn zum Boten zwischen den Lagern. Dem Reiter, der die Grenze überqueren kann, ohne vom Pferd geschossen zu werden.

Die EU macht die harte Linie: Reparationsdarlehen, unbefristete Immobilisierung, Artikel 122. Merz hält die Tür zum anderen Saloon offen: „Hömma, Donnie, hier ist der Fritz.“

Good Cop, Bad Cop in Personalunion. Beide tragen denselben Stern.

Dass das funktioniert, zeigt ein Detail aus Washington: Die deutschen Diplomaten haben diese Woche ihre Weihnachtsfeier gegeben. Draußen. Bei Minusgraden. Mit Glühwein und Bratwurst. „It would be cheating to hold it inside“, sagte Botschafter Hansfeld lakonisch zu den frierenden Gästen mit Blick auf die Festivitäten, bei denen Trump sie nicht dabeihaben wollte.

Und der deutsche Verteidigungsattaché General Bruegner, gefragt nach der Ukraine: „We shall do everything to keep Ukraine in the fight.“

Die Deutschen frieren lieber, als einzuknicken. Das ist die Haltung.


Russland bröckelt

Während Europa seine Colts lädt, wächst in der Festung des Gegners der Druck.

Die russischen Staatsreserven sind angezapft. Die Mehrwertsteuer wurde erhöht, um den Krieg zu finanzieren. Die Öleinnahmen sinken. Die EU-Analyse, auf der das Reparationsdarlehen basiert, sagt: Ende 2026 könnte auch Russland finanziell am Limit sein.

Putin braucht einen schnellen Frieden. Einen, der ihm das Gesicht wahrt. Genau deshalb drängt er Trump. Genau deshalb reitet Witkoff nach Berlin.

Aber da ist noch etwas anderes. Etwas, das mehr über den Zustand des Landes verrät als jede Wirtschaftsstatistik.

In Dodge City – pardon, in Moskau – wendet sich die Stadt gegen ihren Tyrannen.

Larissa Dolina, so etwas wie eine gealterte Helene Fischer der Russen, bekannt als Putins Lieblingssängerin, wurde vergangene Woche vom eigenen Volk gecancelt.
Sowas gab es in Russland so noch nie.
Diesmal ging es nicht um eine Revolution gegen den Palast des Zaren, sondern um eine schnöde Wohnung.

Diese Geschichte ist so grotesk wie bedeutsam:
Die russische Nachtigall Dolina wurde Opfer von Betrügern, die sich als FSB-Mitarbeiter ausgaben. Sie verkaufte ihre Wohnung in Panik an eine alleinerziehende Mutter. Als sie den Betrug erkannte, nutzte sie ihre Kontakte zu Putins Machtstrukturen, um die Wohnung zurückzubekommen. Das Gericht entschied zu ihren Gunsten – die unschuldige Käuferin verlor alles – Wohnung und Geld.

Das russische Internet explodierte.

Nicht wegen des Krieges. Nicht wegen der Sanktionen. Wegen dieser Wohnungsfrage. Weil plötzlich jeder Russe sah, wie schutzlos er vor einem käuflichen Gericht steht, wenn ihm jemand mit Verbindungen zur Macht gegenübersteht. Weil sie hier zeigen konnten, wie sehr sie das System satthaben, ohne gleich im Gulag weggesperrt zu werden.

Konzerte wurden abgesagt. Werbekunden sprangen ab. Veranstaltungsorte strichen Auftritte. Zum ersten Mal in der modernen russischen Geschichte entstand eine echte Cancel Culture – von unten, gegen eine Kreml-Unterstützerin.

Am Ende knickte Dolina ein. Sie versprach, das Geld zurückzuzahlen.

Selbst in Dodge City wendet sich die Stadt irgendwann gegen den Sheriff, wenn er zu oft auf der falschen Seite steht.

Warum ist das wichtig?

Weil es zeigt: Das russische Volk hat Macht. Es hat sie nur noch nicht politisch entdeckt. Die Wut ist da. Das Misstrauen gegen die Institutionen ist da. Es braucht nur einen Anlass.

Michail Zygar schreibt im Spiegel: „Dieser kleine gesellschaftliche Sieg war für viele Russen inspirierend. Er vermittelte das seltene Gefühl, dass selbst unter den gegenwärtigen Bedingungen Widerstand gegen Willkür möglich ist.“

Noch konzentrieren sich die Russen auf alltägliche Sorgen. Aber die Geschichte um Dolina zeigt: Unter der Oberfläche brodelt es. Die Bürger von Dodge City haben gemerkt, dass sie mehr sind als der Sheriff.


Gute Nerven

Europa hat mehr in der Hand, als es glaubt.

210 Milliarden Euro. Einen Kanzler, der zwischen den Fronten reiten kann. Diplomaten, die lieber frieren als einknicken. Einen Hebel, den weder Washington noch Moskau ignorieren können.

Russland hat weniger in der Hand, als es tut.

Eine Wirtschaft unter Druck. Eine Bevölkerung, die gerade entdeckt, dass Widerstand möglich ist. Einen Präsidenten, der einen schnellen Deal braucht, bevor die Fassade bröckelt.

High Noon ist morgen. Aber der Film ist noch nicht zu Ende.

Donnerstag ist EU-Gipfel. Dann wissen wir, ob Europa seine Colts auch benutzt.

Wer jetzt die Nerven behält und zusammenhält, gewinnt.

Und wenn der Staub sich endlich legt, läuft in Moskau wieder Schwanensee.

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