Und keiner schreit.
Ein Text über das Verstummen Europas – und die Frage, wohin uns das Schweigen noch trägt.

Ein Text über das Verstummen Europas – und die Frage, wohin uns das Schweigen noch trägt.
Wir haben uns an alles gewöhnt.
Daran, dass Menschen nachts sterben,
dass Städte brennen,
dass Präsidenten mit Panzern drohen.
Wir haben uns auch daran gewöhnt, dass niemand mehr schreit.
Nicht in Berlin. Nicht in Brüssel. Nicht einmal in Paris, wo sie sonst bei jeder Kleinigkeit auf die Straße gehen.
Diesmal bleibt es still. Vielleicht, weil Pfingsten ist.
Die Ukraine meldet den größten russischen Angriff seit Kriegsbeginn.
Fast 500 Drohnen und Raketen, sagt man.
Tote, sagt man.
Und wieder: keine Eilmeldung.
Europa hat sich abgefunden.
Nicht mit dem Krieg –
mit seiner eigenen Machtlosigkeit.
In den USA spielt der Präsident gerade Armee.
Gegen die eigenen Leute.
Und hier denkt man nach, wie man möglichst unauffällig den Handel weiterlaufen lassen kann.
Denn wer weiß, was Trump morgen wieder verzollt. Oder zertritt.
Und während er die NATO in die Tonne treten könnte,
sitzen wir in Talkshows und erklären, warum wir lieber keine „Alleingänge“ machen.
Wir arrangieren uns mit allem.
Mit Putin. Mit Trump. Mit der eigenen Angst und Ohnmacht.
Und während wir das tun, streiten wir über die angeblich schlimmste Plage im Land: die Migranten.
Obendrein möchte die neue Regierung den Bürgergeldempfängern am liebsten alles streichen –
um Geld zu sparen. Wo sonst.
Wir verteilen keine Hilfe mehr –
nur noch Schuld.
Und das Gefühl, dass es wenigstens noch irgendwen trifft.
Der Kirschlorbeer im Vorgarten geht ein.
Trotz Sprinkler.
Und auf Twitter pöbeln sie wieder gegen die Mahner des Klimawandels.
Die Reichweite für Anstand sinkt.
Die Reichweite für Hetze steigt.
Und irgendwo schreibt jemand einen Text,
um sich Luft zu machen.
Weil man sonst gar nichts mehr machen kann.
Vielleicht hilft es nicht.
Aber vielleicht liest es einer.
Und schreit.