Waffen kaufen, weiterdösen – Putin gewinnt am Ende trotzdem

Waffen kaufen, weiterdösen – Putin gewinnt am Ende trotzdem

Seid ihr auch so happy?
Endlich ist es beschlossen, verkündet – und wird jetzt umgesetzt. Wir Bundesdeutschen können uns wieder völlig beruhigt im Sonnenstuhl zurücklehnen und das nächste Dosenbier zischen. Bald haben wir nichts mehr zu befürchten und sind jetzt aber mal so richtig sicher aufgestellt. Da können die Professoren Neitzel und Masala noch so dunkle Szenarien an die Wand malen. Nix da! Das ist längst nicht unser letzter Sommer in Freiheit.
Oder doch? Lasst uns mal schauen:
Demnächst haben wir also Europas schlagkräftigste Armee. Dafür lassen wir immerhin einige Hundert Milliarden springen.
Jetzt mal ernsthaft. Reicht das?„Was will sie denn jetzt noch?“, fragt sich der womöglich der geneigte Leser. Die Kavallerie ist doch bald da. Es dauert doch nur noch ein Weilchen, bis wir wirklich gut aufgestellt sind. Bald!Aber, sage ich schon jetzt, das wird nicht reichen!

Denn wir können noch so viele Waffen haben, wenn wir eines nicht haben, nützt uns das nichts. Und zwar die richtige Denke.
Denn neben der Frage, wer all die neuen Maschinchen überhaupt bedienen soll – wenn wir doch alle unsere eigenen Kinder lieber nicht einem drohenden Krieg opfern wollen –, geht das Drama da draußen ja ungebremst weiter.
Zumindest für die Ukraine, die vergangene Nacht erneut den russischen Horror ertragen musste.

Kennt ihr Leute wie mich, die sich vornehmen, in diesem Jahr aber nun wirklich ihre Bikini-Figur zu bekommen, sich fürs Joggen entscheiden, dafür erst sämtliche Fachzeitschriften, Blogs und Ratgeber durchhecheln, um sich mit den leichtesten und laufstärksten Schuhen für ein Vermögen einzudecken, nebst turbo-schweißabsorbierender Thermowäsche, dem kostenintensivsten Abo für die Lauf-App – und ehe die Pakete endlich da sind, die App heruntergeladen, eingestellt und der erste Schritt getan ist, ist alle Kraft verflogen, überhaupt einen Schritt vor den anderen zu machen?
Dabei hätte schon einfaches Spazierengehen massiv geholfen, aber solche Übersprungshandlungen im Kaufrausch sind irgendwie schöner und gemütlicher und schieben vor allem das Problem erst einmal weit, weit weg.

So ist das mit unserer Aufrüstung

Wir nehmen einen Haufen Kohle in die Hand. Dann muss alles ausgesucht, genehmigt, gekauft, hergestellt, geliefert, in der Truppe implementiert werden. Es müssen erst Schulungen stattfinden, Manöver geplant, organisiert, veranstaltet werden, um das feine Gerät auch mal zu testen.
Derweil freuen sich aktuell 65 % der Bundesbürger darüber und schlafen ab sofort in vermeintlicher Sicherheit, da die da oben in Berlin das schon alles im Griff haben werden. Bomben fallen aber weiter auf die Ukraine.
Putin lässt seine Kriegswirtschaft fortgesetzt im Dreischichtbetrieb aufrüsten, um mehr Waffen aufzuhäufen, als er in der Ukraine überhaupt je verschießen kann.
Warum? Ja, warum! Wir sitzen nämlich gerade wieder einem neuen Trugschluss auf.

Schlechte Nachricht

Denn – jetzt kommt die schlechte Nachricht über die noch so vielen Sommer in Frieden, die wir uns so wünschen: Der Krieg findet ja längst in unseren Wohnzimmern, in unseren Büros, auf der Straße statt. Ganz anders als wir Deutschen, die sich verteidigungstechnisch nur den Goldstandard leisten, hat sich Putin in den letzten Jahrzehnten nämlich eher einen schlanken Fuß gemacht. Nicht nur, indem er erst den ganzen alten Sowjetschrott in der Ukraine verballert hat, nein – um uns noch simpler in die Knie zu zwingen. Und zwar ohne eine einzige Patrone zu verschießen.
Denn – in diesem Punkt sind wir uns wohl alle einig –, dass wir uns in fast nichts mehr einig sind.
Wir waren noch nie so sehr in einem Zustand der Verwirrung, Spaltung und Paralyse.
Ein Wunder, dass nun 65 % so eifrig „hier“ schreien, wenn es um die neuen NATO-Vorgaben aus Washington geht, wo wir doch erst im vergangenen Jahr mit Hängen und Würgen das 2 %-Ziel erreicht haben. Im Wahlkampf hat Merz noch mit der Schuldenbremse gepunktet, dabei hatte Putin auch währenddessen nie seine Aufrüstungsmaschinerie heruntergefahren oder gar aufgehört, die Ukraine zu terrorisieren.
Kaum war die Union gewählt, ließ man sich mit Hilfe der verhassten Grünen, die genau aus diesem Grund beim Wähler verloren hatten – weil sie eben ehrlich und mit ganzen Zahlen für eine deutlich schlagkräftigere Verteidigung plädierten, was eben kostet. Nun applaudieren wir mehrheitlich ob all dieser Milliardenausgaben.
Und doch ist unser Plan mit der schlagkräftigsten Armee Europas am Ende nur ein Wegschieben des Problems.

Schachspieler Putin

Denn Putin hat uns längst schachmatt gesetzt, auch wenn wir jetzt noch Milliarden ausgeben. Mit nur ein paar wenigen Millionen für Propagandanetzwerke, Trollfabriken, gekaufte Influencer, PR-Manager, Parteienunterstützung und dubiose Vereine hat er etwas geschafft, wofür wir im Westen jetzt noch so viel Geld ausgeben können, ohne dass wir damit etwas lösen:
Er hat unsere Demokratien destabilisiert.
Er hat Unsicherheit gesät.
Er hat dafür gesorgt, dass Menschen wie Trump an die Macht kamen, dass überall Rechtsradikale und Nationalpopulisten in Parlamente sitzen und auch die EU blockieren, dass das Vertrauen in Medien zerbröselt ist – und dass wir mittlerweile eine Gesellschaft haben, die reale Fakten nicht mehr von grotesken Lügenmärchen unterscheiden kann. Unsere Antwort darauf sind aber nur neue NATO-Beiträge – von zwei auf fünf Prozent.
Für einen Informationskrieg, für Gegenpropaganda, für eine offensive Verteidigung unserer Gesellschaften ist dabei kaum ein Cent übrig.
Warum?
Weil wir uns offenbar zu fein dafür sind. Weil wir uns nicht die Finger damit schmutzig machen wollen.
Weil wir lieber makellos dastehen und uns moralisch überlegen fühlen. Dabei gibt es Rezepte. Strategien, Konzepte – sie liegen seit Jahrzehnten auf dem Tisch. Wir haben nur nicht den Mut, sie einzusetzen.

Wir lassen weiter russische Propaganda in unseren Kanälen laufen – schützen damit ehrenvoll die Meinungsfreiheit – dabei hat uns Russland mit seinen Erzählungen längst mitten in die Köpfe geschossen und uns wie die Schlange Kaa im Dschungelbuch vollständig hypnotisiert, damit wir vor lauter Sorge lieber gar nichts machen. Außer eben Einkaufen und NATO-Zahlen erfüllen. Russland benötigt nämlich keine einzige Patrone gegen unsere billionenschwere NATO.
Es rüstet gerade auf, um uns zu beeindrucken.
Denn sollte Putin uns tatsächlich angreifen, laufen wir ohnehin ganz schnell wieder weg und verbarrikadieren uns hinter dem Wort „Eskalation“ während er über Atomwaffen doziert. Putins Propagandamaschine funktioniert mit der Präzision eines Scharfschützen – und trifft uns genau dort, wo wir am verwundbarsten sind: in unseren Ängsten, unserer Müdigkeit, unserer Bequemlichkeit.

Unsere Politiker haben jahrelang nur gemahnt, Berichte geschrieben, Panels veranstaltet und die Pressefreiheit gefeiert, derweil liefen Putins Lügen in Dauerschleife:
„Die Ukraine bombardiert ihre eigenen Kinder.“
„Russland wehrt sich nur gegen den Westen.“
„Schuld am Krieg ist die NATO.“ Diese Narrative sickern durch Talkshows, alternative Kanäle, Telegram-Gruppen – Tag für Tag, Jahr für Jahr.
Und erst heute wurde berichtet, wie stark der Zulauf gerade beim BSW wieder ist.
Die Wagenknecht-Partei hat es zwar nicht in den Bundestag geschafft – aber beim nächsten Mal.
Denn auch dieser Frau glauben viele wie Putin aufs Wort.
Selber Trick, selbe Falle. Was genau planen wir aber dagegen zu tun?
Mit Verteidigungsausgaben allein wird das nichts werden.

Denn was es niemals geben sollte, ist eben die eine russische Patrone, die auf NATO-Gebiet fliegt, denn dann hätte Putin gewonnen, weil wir uns wegducken werden und niemand für eine estnische Kleinstadt einen 3. Weltkrieg riskiert.
Trotzdem unternehmen wir nicht einen einzigen ernsthaften Versuch, Putins Propagandamaschine, die seine größte hybride Waffe ist, direkt zu attackieren.
Es existiert nicht eine koordinierte Offensive des Westens gegen Putins Lügenwelt.
Keine echte Strategie, um die russischen Soldaten zu erreichen, sie und ihre Familien zu destabilisieren, ihre Loyalität zu erschüttern – sodass sie von innen heraus "unser Problem" lösen, nämlich Putins Pläne zu durchkreuzen.

Dabei gäbe es ausreichend Experten, wie den britischen Journalisten Peter Pomerantsev, die uns längst aufgemalt haben, was zu tun wäre. In seinem Buch "How to Win an Information War" erinnert er an Helden wie Sefton Delmer, der einst der Welt bewiesen hat, dass da was geht.
Im Zweiten Weltkrieg baute er Nazi-freundlich klingende Radiosender auf, fütterte die Hörer mit Sex, Klatsch und Gerüchten – und streute gleichzeitig Zweifel, Intrigen, perfide Häppchen über das Versagen der NS-Führung. So brach er Stück für Stück das Gedanken-Monopol der Nazis, ohne je zu behaupten, moralisch überlegen zu sein.Pomerantsev fordert genau das: nicht Verteidigung, sondern Angriff.
Nicht nur Faktenchecks, sondern perfide, kreative, psychologisch wirksame Gegenpropaganda, die Putins Kontrolle von innen heraus unterminiert.
Wir brauchen Mut, Ressourcen, politische Rückendeckung – und den Willen, diesen Krieg nicht nur an der Front, sondern auch in den Köpfen der Menschen zu führen.
So wie die Bikini-Figur nicht mit Hightech-Schuhwerk errungen wird, sondern mental im Köpfchen.

Liebe Politiker,
Sie wollen fast alle keine Wehrpflicht, denn auch Sie wollen Ihre Kinder nicht in einen Krieg schicken. Sie wollen auch die teuren Waffen, die Sie da gerade anschaffen, doch eigentlich auch am liebsten nie benutzen.
Dann sollten Sie aber wenigstens lernen, endlich einen Krieg der Worte zu führen. Und nicht nur, um mit Lügenmärchen einen Wahlkampf zu gewinnen, worin Sie alle so gut sind, sondern Wort einmal auch als hybride Kriegswaffe zu nutzen, um den Feind in seine Höhle zurückzutreiben, aus der heraus er uns überfallen will.Wir dürfen nicht länger „Igitt“ denken, wenn wir an Gegenpropaganda denken.
Wir sollten so schnell wie möglich selbst in die Köpfe der Russen eindringen – und vor allem aber auch unsere eigenen Menschen zurückholen, die uns durch Putins Märchen verloren gegangen sind.
Denn das benötigen wir obendrein: ein Narrativ, das uns wieder eint, was Putin und seine Leute gespalten haben. Und ja, das gilt auch für alle Parteien in Deutschland, für manche allerdings deutlich mehr!Sie wissen selbst, was Worte für Waffen sind.
Wie sonst konnten die Grünen dermaßen von der politischen Landkarte gekickt werden, obwohl Sie jetzt in so vielen Punkten genau deren angekündigte Politik in die Tat umsetzen? Blasen Sie endlich zum Gegenangriff der Worte.
Lassen wir Russland von innen implodieren, wie es Putin bei uns bald geschafft hat.
Sonst werden wir eines Morgens aufwachen und feststellen, dass wir zwar das größte und edelste Militärbündnis der Welt haben – aber keine Bevölkerung mehr, die es verteidigen will.

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